Update zur Erbschaftsteuerreform
August 31, 2016Pilot und Wirtschaftsprüfer: Ein Widerspruch im eigenen Risikomanagement?
April 3, 2017Von Dr. rer. pol. Peter Schmid und WP StB Dipl.-Kfm. Michael Kozikowski[1]
Das Konzeptpapier Steuerberatung 2020 der Bundessteuerberaterkammer ist eindeutig. Der Digitalisierung von Geschäftsprozessen wird bei der Leistungserbringung in der Steuerberatung großes Gewicht eingeräumt. Dabei verfolgt Digitalisierung keinen Selbstzweck, sondern ist immer Mittel zum Zweck. In diesem Beitrag zeigen wir auf, welches Potential in der Vereinfachung komplexer Arbeitsprozesse durch eine konsequente Digitalisierung liegt und wie eine Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie für die zukunftsfähige Kanzlei gelingen kann.
Das Ende der Manufaktur: Beispiele für Zeit- und Kostenersparnis
Auch wenn wir es vielleicht nicht wahrhaben wollen: Wir sind zwar hochgefragte und -geschätzte Anbieter von steuerlichem Fachwissen, unsere „Produktionsabläufe“ bewegen sich jedoch – zumindest im Vergleich zu unseren Mandanten – auf einem vergleichsweise archaischen Niveau. Geschützt durch ein überreguliertes und kaum mehr zu überblickendes Steuersystem verwalten wir unser Expertenwissen und dies zu vergleichsweise mehr als auskömmlichen Margen. Natürlich spüren Steuerberater – wie alle freien Berufe – den zunehmenden Wettbewerb. Aber könnten wir in einem Wettbewerbsumfeld bestehen, in dem eine Umsatzrendite von 2% (Lebensmittelhandel) Rüstzeiten von wenigen Sekunden (Metallindustrie) oder unternehmensübergreifendes workflow Management (Industrie 4.0) schon heute Industriestandard ist? Man mag einwenden, dass für Wissensanbieter wie uns das alles nicht gelten mag. Das Beispiel IBM und seine Expertensoftware WATSON u.a. für medizinische Beratung lehrt uns eines Besseren. Unsere Branche steht vor einem disruptiven Veränderungsprozess und längst nicht alle werden bestehen können. Bereits jetzt gibt es Steuerkanzleien, die das steuerliche compliance Geschäft für unter 50 EUR / Monat anbieten und dabei trotzdem hochproftitabel sind. Diese Kanzleien beschreiten bereits jetzt erfolgreich den Weg hin zur Industrialisierung unseres Geschäftsmodells. Und gerade hierin liegt für mittelständische Praxen eine vielleicht historische Chance. Während große Beratungskonzerne mit erheblichen Fixkostenremanenzen zu kämpfen haben werden, liegen die reinen Betriebskosten (ohne Softwareentwicklung) für hochsichere, mehrfach redundante und allen Anforderungen der Finanzverwaltung gerecht werdende Rechenzentren schon jetzt bei unter 5.000 EUR / Monat pro 20.000 Nutzer. Allerdings sind die Kosten für die eigentliche Softwareentwicklung von einer einzelnen Kanzlei kaum finanzierbar. Und hierin liegt die eigentliche Herausforderung für kleine und mittlere Kanzleien: Nämlich die eigenen Geschäftsprozesse zunächst soweit als möglich zu standardisieren und hierfür dann am Markt verfügbare Softwarelösungen für deren Digitalisierung einzusetzen. Gleichzeitig sich aber auch die eigene Individualität als Wissensanbieter zu erhalten und das eigentliche – in den letzten Jahren eher etwas in den Hintergrund geratene – Kerngeschäft der anspruchsvollen Gestaltungsberatung gerade nicht zu standardisieren.
Welche Arbeitsprozesse in einer Steuerkanzlei eignen sich nun besonders für ihre Digitalisierung? Es sind dies zunächst – und zugegeben etwas pointiert formuliert – all diejenigen Arbeitsläufe für die unsere Kunden nicht gesondert zahlen würden, wenn sie deren innerbetrieblichen Ablauf in unseren Kanzleien kennen würden. Dann aber auch – und hier liegen nach unseren Erfahrungen die größten Einsparpotentiale – all diejenigen Arbeitsprozesse, die in irgendeiner Weise die Kommunikation und Koordination mit mehren Beteiligten (Kunden, Lieferanten, Banken, Sozialversicherungsträger usw.) erfordern. Intelligente Software bildet heute derartige Prozesse plattformunabhängig und über sog. Domain Specific Languages nahezu maßgeschneidert ab. Der Anwender braucht dabei nicht über umfangeiche Programmierkenntnisse zu verfügen, wohl aber muss er seinen eigenen Prozesse – will er nicht auf bereits vorhandene Standardlösungen zurückgreifen – genau beschreiben können. Ist ein Organisationshandbuch bzw. Verfahrensdokumentation vorhanden und wird diese vor allem auch gelebt, ist dies meist ein guter Einstieg.
Konkret angesprochen sind damit Arbeitsprozesse in den Bereichen
Personalmanagement (z.B. Anstellung, Minijob Anmeldung, Sofortmeldung bis hin zu Kündigung und Arbeitszeugnis),
Finanzen (Eigenbelege, Rechnungskorrektur, USt-ID-Prüfung, Bewirtungsbelege usw),
Geschäftsbücher (insbes. Kassenbuch, Arbeitszeitenerfassung) und
das gesamte Datenmanagement (Datenhaltung- und austausch).
Gerade diese Prozesse sind für den Steuerberater vergleichsweise aufwendig, da sie oft nicht über automatisierte Schnittstellen (anders als z.B. beim Online-Banking die Vorkontierung für die Buchhaltungssoftware) verfügen und eine Vielzahl unterschiedlicher Datenquellen zu berücksichtigen sind. Intelligente Software bildet diese Prozesse unter Einbeziehung des Mandanten, seiner Geschäftspartner und z.B. auch der Sozialversicherungsträger als „elektronischen Pendelordner“ ab und bietet als Output hochsichere Schnittstellen zu gängigen Anbietern von Deklarations- und Rechnungswesensoftware.
Wenn diese intelligente Software für unterschiedlichste Betriebssysteme der Mandanten (Windows, Apple, Linux) plattformunabhängig und als Cloud-Lösung zur Verfügung steht, lassen sich nach unserer Erfahrung Zeit- und Kostenersparnisse von rund 80% erzielen. Digitalisierung wird dann zu einem echten Wettbewerbsvorteil, der sich eben nicht in einem digitalen Austausch von Belegen und der digitalen Bereitstellung von Unterlagen, ergo einer strikten Übertragung analoger Prozesse in ein digitales Kleid erschöpft.
Welche Mandanten und Kanzleien sind für eine digitale Zusammenarbeit geeignet?
Gerade aufgrund dieses hohen Innovations- und Effizienzgehalts der digitalen Zusammenarbeit ist diese zur Überwindung der gegebenenfalls typischen Abwehrhaltung Neuem gegenüber sowohl in der eigenen Kanzlei als auch Mandantenebene strategisch zu planen.
Zu Test- und Lernzwecken eignet sich die Auswahl einer Untergruppe von technologieaffinen Mandanten, insbesondere auch Neumandanten, mit denen die Zusammenarbeit in einem ersten Schritt digitalisiert wird. Damit wird der Vertrauensgrundstock der eigenen Mitarbeiter in neue Arbeitsweisen und Formen der Zusammenarbeit gelegt und zudem der für die Kanzlei optimale Organisationsrahmen inklusive der eingesetzten Softwarelösungen gefunden. Diese Subgruppe ergibt sich beispielsweise durch gezielte Nachfragen von Mandantenseite, z.B. in Form der Bitte, die Steuerkanzlei solle doch an ihre Branchensoftware „andocken“, oder beobachtetes Verhalten auf Mandantenebene. Nutzen Mandanten bereits heute Dropbox, WhatsApp oder ähnliche digitale Kommunikationskanäle, sind diese von Natur aus die ersten Mandanten, die für eine digitale Zusammenarbeit unter Einsatz intelligenter und vor allem auch sicherer Cloud-Anwendungen zu gewinnen sind.
In einem zweiten Schritt ist die die Mandanten nach unseren Erfahrungen systematisch auf Basis einer Checkliste auf ihre Digitalisierungsfähigkeit zu bewerten. Kriterien können dabei die vom Mandanten präferierten Kommunikationskanäle (Brief, Fax, E-Mail, SMS, Instant Messaging wie WhatsApp oder Skype, Online-Portale), die Art der Grundaufzeichnungen (Papier, Excel, Softwarelösung), die Art der Rechnungsstellung („per Hand“, mit Word, Rechnungsschreibungssoftware) und die Art des Zahlungsverkehrs („per Hand“, Online-Banking, Softwarelösung mit Automatismen) sein. Auf Basis eines daraus resultierenden Scores empfiehlt es sich, das erste Drittel der Mandanten nachhaltig und angepasst auf deren individuellen Bedürfnisse innerhalb eines halben Jahres zu digitalisieren. Gegebenenfalls kommt es bei diesem Drittel auch nur zu Modifikationen in der Zusammenarbeit, da bei diesen (punktuell) bereits digital zusammengearbeitet wird.
Der größere Teil der Mandanten, der erfahrungsgemäß ungefähr 50 bis 60% der gesamten Mandanten entspricht, ist bei nachweisbarem Erfolg beim ersten Drittel zu überzeugen. Dabei wird die Initiative auch vermehrt von den Mitarbeitern ausgehen, die die Vorteile der digitalen Zusammenarbeit schätzen gelernt haben und sich eine Umstellung auch beim Gros der Mandanten wünschen. Schließlich werden aber auch 10% der Mandanten verbleiben, bei denen aus verschiedenen Gründen (Alter, unüberwindbare Skepsis, keine Internetverbindung) die analoge Zusammenarbeit das Mittel der Wahl bleibt, das aber logischerweise für beide Seiten im Marktvergleich mit erhöhten Organisationskosten verbunden sein wird, die diesen Mandanten auch konsequent kommuniziert werden sollten.
Wie spricht man Mandanten an und kann man mehrere Systeme nutzen?
Die oftmals als Hürde empfundene Ansprache der Mandanten zur Digitalisierung besteht nach unseren Erfahrungen nicht. Insbesondere bei der Test- und Lerngruppe besteht dieses Problem nicht, da diese leicht zu überzeugen ist bzw. aufgrund eigener Nachfrage gar nicht zu überzeugen ist. Grundsätzlich empfiehlt es sich, über von der Kanzlei gewünschte digitale Zusammenarbeitsmöglichkeiten schriftlich z.B. per E-Mail zu informieren und dann persönlich mit den jeweiligen Mandanten Kontakt aufzunehmen. In der Regel steht dann der digitalen Zusammenarbeit nichts im Wege. Ebenso ist bei Folgegruppen vorzugehen, gegebenenfalls eignen sich auch gezielte Mandantenabende mit dem Ziel der Digitalisierung der eingeladenen Mandanten.
Bei einer Vielzahl von unterschiedlichen Mandanten und insbesondere in größeren Kanzleien mit mindestens 10 Mitarbeitern werden auch mehrere Anwendungen, auch von verschiedenen Anbietern, im Einsatz sein. Ziel sollte es dabei sein, die Anwendungen pro Mandant aber auf maximal 2 zu beschränken. Auf Kanzleiebene wird dies aufgrund der individuellen Bedürfnisse der Mandanten allerdings eine größere Zahl sein, insbesondere wenn Mandanten bereits ihre individuellen Lösungen ohne Zutun der Kanzlei gefunden haben und diese verständlicherweise aufgrund ihrer betriebsinternen Organisation nicht umstellen wollen. Dies werden die Mandanten aber von einer serviceorientieren Kanzlei erwarten. Auf Kanzleisicht ist deswegen auch eine proaktive Digitalisierung der Mandanten hin zu einem gemeinsamen virtuellen Büro wünschenswert, das von einem oder zwei Anbietern kommt.
Wo geht die Reise hin?
Die Vereinfachung komplexer Arbeitsprozesse durch Digitalisierung ist Chance und Bedrohung zugleich. Bedrohung, weil in sehr kurzer Zeit völlig neue Anbieter mit neuen Geschäftsmodellen entstehen werden und damit etablierten Anbietern kaum Reaktionszeit bleibt, sich auf geänderte Bedingungen einzustellen. Aber vor allem auch Chance, weil die Grenzkosten gerade für kleine und mittlere Anbieter dramatisch zurückgehen und auch der spürbare Fachkräftemangel in Richtung höherwertiger und besser vergüteter Tätigkeitsinhalte abgefedert werden kann.
Die eigentliche Herausforderung für unseren Beruf steht uns aber erst noch bevor: Letztlich eignet sich unser Tätigkeitsfeld wie kaum ein Zweites für volldigitale Expertensysteme. Damit würde auch die bisher von Standardisierung und Digitalisierung eher „verschont“ gebliebene Gestaltungsberatung zumindest teilweise industrialisierbar.
In Summe gehen wir jedoch keinesfalls davon aus, dass der Beruf und das Tätigkeitsfeld des Steuerberaters durch die Digitalisierung bedroht ist. Entsprechende Meinungen, die sich auf die Oxford-Studie[2] zur Zukunftsfähigkeit von Berufsfeldern berufen und eine Überlebungswahrscheinlichkeit von lediglich 2% für den Beruf des Steuerberaters sehen, beruhen schlicht auf Übersetzungsfehlern. Allerdings werden die in der Studie genannten Tätigkeiten, die sich für eine Industrialisierung eignen weniger menschlichen Input erfordern und ihre intelligente Digitalisierung entscheidend für die Zukunftsfähigkeit einzelner Steuerkanzleien sein.
[1] Dr. Peter Schmid ist Mit-Gründer und Beirat der Devatax GmbH in Passau.
[2] vgl. Frey, C. B. – Osborne, M. A. (2013). The Future of Employment: How suspectible are jobs to computerization? Oxford Martin Programme on Technology and Employment